Schönes Bekenntnis - Uwe Deißlers Buch erzählt eine ungewöhnliche Geschichte

Y-Magazin der Bundeswehr
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Panorama Y-Magazin der Bundeswehr Ausgabe 7/2009
Colla Schmitz: "Ein Tag mit...", Seite 84-87


Ausgerechnet die „Brigitte“. Nie im Leben vermutet man in der Urmutter aller deutschen Frauenzeitschriften einen Bericht über einen Soldaten, der seine Einsatzerfahrungen zu Papier gebracht hat. Und so überrascht es, dass das Magazin Uwe Deißlers „Randnotizen: Als Berufssoldat in Afghanistan, als Mensch in der Heimat – ein Tagebuch zweier Welten“ als Buchtipp präsentiert.

Mehr noch, es macht neugierig auf den Mann, über den dort zu lesen ist: „Er schreibt über geplatzte Träume, Zweifel, Ängste. Und über schöne Momente. Wiedersehensfreude, den Sinn des Berufs. Das ist manchmal fremd, aber immer anrührend und nah.“
Was ist das wohl für ein Typ, der über sich selbst sagen kann: „Ich habe Gefühle. Bin aber auch hart wie Stein. Mein Job verlangt mir dies ab. Ich trage eine Sonnenbrille. Dahinter verberg’ ich mein Gesicht.“

 

Uwe Deißler versteckt sich nicht und Berührungsängste sind dem 44-Jährigen fremd.
„Das war nicht immer so“, räumt der Feldjäger freimütig ein. Auch er habe das erst lernen müssen. Geholfen hat ihm dabei sein Buch. 128 Seiten collagenartig zusammengesetzt. Ungewöhnlich von der ersten bis zur letzten Zeile.

 

„Ich hatte nie vor, meine Einsatzerfahrungen zu veröffentlichen.“ Begonnen habe alles mit einem Hundespaziergang. Dabei lernt er die Grafikdesignstudentin Simone Uetz kennen. Nichts Weltbewegendes. Nur zwei Hundefreunde, die ihre Runden drehten. Man ist sich sympathisch und spricht – zwischen Stöckchenwerfen und Gassigehen – über Gott und die Welt. „Anfangs wusste ich gar nicht, was er beruflich macht“, erinnert sich die 41-Jährige.

Nach und nach erfuhr sie, dass er bereits fünfmal im Einsatz war. Dreimal davon in Afghanistan. „Für mich war das alles völliges Neuland. Bislang hatte ich nie etwas mit der Bundeswehr zu tun gehabt“, gibt die passionierte Fotografin offen zu. Eines Tages bringt Uwe Deißler Fotos mit. Schnappschüsse vom Hindukusch. Schwarze Kinderaugen. Groß und unschuldig. Männer in Flecktarn. Gesichter eines Einsatzes: „Da wusste ich plötzlich, das ist genau das Thema, was ich für meine Diplomarbeit brauche.“ Simone Uetz nimmt allen Mut zusammen und fragt, ob sie die Bilder verwenden darf. „Mach’ ruhig“, antwortet Uwe Deißler. Später räumt er amüsiert ein, er habe keine Vorstellung davon gehabt, was auf ihn zukommen würde.

 

Denn für das Erlangen des Diploms hätte es durchaus ausgereicht, die gestalteten Seiten mit Blindtext zu füllen. Aber das ist der Allgäuerin Uetz nicht genug: „Mich hatte der Ehrgeiz gepackt.“ Für Uwe Deißler heißt das, nicht nur das Fotoalbum wird geöffnet, sondern auch die Seele. Er kramt dabei sein Einsatztagebuch hervor. Worte, militärisch kurz und knapp.

Simone Uetz hakt nach und plötzlich sprudelt es aus dem Hauptfeldwebel nur so heraus: „So schnell konnte ich gar nicht mitschreiben, deshalb habe ich schließlich alles gefilmt, um ja nichts zu verpassen.“ Am Ende bekommt der Feldjäger den Auftrag, seine Gedanken selbst zu formulieren. „Uwes Hausaufgaben“, nennt sie scherzhaft die Aufzeichnungen, die auf diese Weise entstanden sind.

Deißler schmunzelt: „Irgendwann platzte bei mir der Knoten. Ich habe mich dann verzogen und stundenlang geschrieben.“ Erkenntnisse, Erfahrungen und persönliche Einsichten – nichts wurde ausgelassen. Harte Männer und Waffenstolz stehen dort buchstäblich Seite an Seite mit Heimweh und Sehnsucht.

Damit Simone Uetz ein besseres Gespür für die Materie bekommt, nimmt der Hauptfeldwebel sie mit in die Sonthofener Generaloberst-Beck-Kaserne – die Heimat der Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr. Dort versieht der ausgebildete Personenschützer als Inspektionsfeldwebel in der V. Inspektion seinen Dienst: „Man muss einfach einmal vor Ort gewesen sein, um uns Soldaten zu verstehen.“

Bewaffnet mit einer Kamera erobert die angehende Grafikdesignerin die Kasernenanlage. Schnell ist sie bekannt als „die Simi, die für ihre Diplomarbeit recherchiert“. Mit dem Buch wächst auch die Beziehung: „Aber für mich stand von Anfang an fest, selbst wenn wir kein Paar bleiben, unterstütze ich auch weiterhin ihr Abschlussprojekt.“

Stück für Stück nehmen die „Randnotizen“ Form an. „70 Prozent des Inhalts sind“, so Deißler, „sehr persönlich gehalten.“ Die Bilder und Gespräche seiner vier Kinder finden dort ebenso ihren Platz wie die E-Mail-Korrespondenz zwischen ihm und seiner Frau. Liebesgrüße aus einer Zeit, als man noch dachte, kein Einsatz könne die Liebe je zerstören.

Die Realität holt sie ein, die Ehe zerbricht: „Ich kann es verstehen, die ewige Angst, den Partner zu verlieren, während gleichzeitig daheim das Leben seinen ganz normalen Gang geht, wer kann das auf Dauer schon aushalten.“ Er selbst weiß nur zu gut, jeder, der einmal in Afghanistan war und das Erlebte nicht mit seinen Angehörigen teilt, kehrt nie wieder ganz nach Hause zurück.

Die unausgesprochenen Worte belasten jede Partnerschaft, weil ein Stück der eigenen Seele immer am Hindukusch bleibt. Simone Uetz bringt dieses Gefühl ins passende Layout. Lässt Fotos und Texte miteinander reden. Ungeschminkt. Langsam füllen sich die leeren Blätter. Insgesamt bleiben ihr nur drei Monate Zeit, um ihre Arbeit fertigzustellen.

Am Ende hatte sich der Aufwand ausgezahlt, die Diplomarbeit mit dem Flecktarneinband erhält die Note „sehr gut“. An dieser Stelle hätte eigentlich Schluss sein können, wenn nicht Deißlers Kameraden gewesen wären: „Viele hatten ja die Entstehung verfolgt und wollten wissen, was daraus geworden ist.“ Sie dürfen es lesen.

An ihren Reaktionen merkt das Autorenteam, dass ihre „Randnotizen“ eine breitere Öffentlichkeit verdient haben. Beide sind sich einig, das Projekt nicht aus der Hand zu geben. Kurzerhand gründet Simone Uetz den „Independent Verlag“. Mit einer Auflage von 2.000 Stück erscheint das Buch Ende 2008.

Ein Viertel davon ist bereits über den Ladentisch gegangen. Täglich kommen neue Anfragen, aber auch E-Mails, in denen Leser sich für die Emotionen zwischen den Zeilen bedanken. Doch wichtiger als Öffentlichkeit und Anerkennung bleibt für Uwe Deißler nach wie vor, dass Soldaten anfangen, mit ihren Angehörigen über ihre Gefühle zu reden: „Wenn mein Buch dazu beiträgt, hat es seinen Zweck erfüllt.“

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