Einsatztagebuch Bundeswehr in Afghanistan: Mehr eine Erfahrung, als ein Buch!

Frau zu Frau

FrauzuFrau-Magazin, Ausgabe September 2009

 

Ein zerborstener menschlicher Schädel, umgeben vom Torso einer Barbiepuppe und Plastikmüll, fotografiert in Afghanistan. Daneben das Bild einer entzückenden, lächelnden Tochter in der Heimat. Dazwischen die Eidesformel des feierlichen Gelöbnisses der Bundeswehr: Kaum eine Passage verdichtet so griffig das Konzept dieses „Tagesbuches zweier Welten“, wie diese willkürlich aufgeschlagene Stelle. Die „Randnotizen“ zeigen uns, was es bedeutet, „als Berufssoldat in Afghanistan“ zu dienen und „als Mensch in der Heimat“ zu leben und zu lieben.
Dieses Buch ist ganz anders als die für dieses Thema übliche Ansammlung pathetischer Floskeln oder reißerisch angepriesener, angeblicher Enthüllungen. Das mag ein Grund sein, warum es die Massenmedien offenbar weitgehend ignorieren. Dabei enthüllen die „Randnotizen“ viel mehr, als die schaulustigen Fernseh-Features vom gefährlichen Einsatzleben oder die pseudo-betroffenen Reportagen vom harten Soldatenschicksal. Die „Randnotizen“ verweigern sich trotz ihrer schonungslosen Offenheit dem üblichen Voyeurismus, ebenso wie den gängigen Zugangswegen und treffen doch, oder vielleicht gerade deswegen, besser die wunden Punkte, als jedes andere Werk, das ich zu diesem Thema gelesen, gehört oder gesehen habe.
Ergreifend offen sind die „Randnotizen“, völlig abseits aller Soldatenabenteuer-Folklore, Helden-Verklärung und romantischen Klischees von starken Männern mit weichen Herzen, die in einer bösen Welt hart sein müssen, damit wir alle ruhig schlafen können. Hauptfeldwebel Uwe D. offenbart in scheinbar loser Reihenfolge seine Gedanken und Gefühle als Wesen zwischen zwei Welten, lässt uns die manchmal grotesken Sinnlosigkeiten ebenso mit erleben wie die Verzweiflung angesichts der Tatsachen, oft absurden Umstände und Notwendigkeiten. Immer wieder offenbart erst der zweite Blick den wahren Kern eines Bildes: Das Innere eines Einsatzhelmes etwa, in dessen Rand, für uns auf dem Kopf stehend, von vermeintlicher Kinderhand das Wort „Papa“ geschrieben steht.
Die „Randnotizen“ unterscheiden sich in fast allen Aspekten von gängiger Lektüre. „Was ist das, ein Bildband?“ ist häufig die erste Reaktion, wenn man das ungewöhnlich als Ringbuch aufgemachte Werk herumreicht. Die wilde Mischung der Sujets verwirrt: Fotografisch hervorragend komponierte Aufnahmen wechseln sich ab mit scheinbar zufälligen Amateur-Schnappschüssen von vermeintlichen Belanglosigkeiten. Auch das Text-Layout erscheint zunächst sperrig, Tagebuchaufzeichnungen und Bemerkungen in Schreibmaschinenschrift werden gequert von in anderer Laufrichtung gesetzten Notizen oder Ergänzungstexten, die wie zufällige Fundsachen erscheinen. Dieses Prinzip der Autorin Simone Uetz-Fugel ist aber alles andere als gekünstelt: Wer einmal beginnt, zu lesen, gerät in den Sog dieser Worte, auch wenn er sie nur überfliegt. Und plötzlich macht es Sinn, dass man das Buch immer wieder drehen muss, gezwungen ist, den Blickwinkel zu ändern, sich den manchmal schrecklichen Umständen anzupassen.
Was einem zu Beginn der Lektüre vorkommt wie zufällig aneinander gereihte Kontraste und Layout-Spielereien, wird mit jeder weiteren Seite als kühnes Konzept erkennbar, das die Unmöglichkeit, in beiden Welten als Mensch ident und integer zu bleiben, beinahe authentisch erfahrbar macht. Natürlich ist dieser Umstand gedanklich leicht zu erfassen – in den „Randnotizen“ aber wird er spürbar. Das macht die „Randnotizen“ zu einem wichtigen Dokument der jüngeren Zeitgeschichte und einem außergewöhnlichen Zugang zu den Menschen, die „im Dienst der Sache“ nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn ihr Leben, nämlich das in der Heimat mit ihren Lieben, aufs Spiel setzen müssen.

Der 42jährige, deutsche Journalist Rüdiger Wenk ist verantwortlicher Redakteur beim Österreichischen Rundfunk ORF. Er hat viele Jahre im In- und Ausland für unterschiedliche Medien gearbeitet und sich dabei auch immer wieder mit militärischen Themen und den Verhältnissen in Krisenregionen auseinander gesetzt.

 

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